„Wartales“ im Test: Düsteres Rollenspiel mausert sich zum Überraschungsh*t (2024)

Mit so manchem Spiel ist es wie mit einem guten Wein: je älter und je länger gereift, desto besser. Ähnliches lässt sich durchaus über das Spiel „Wartales“ vom französischen Studio Shiro Games sagen. Lange Zeit, seit Ende 2021, flog das Game im Early Access eher unter dem Radar.

Zum Release im April 2023 mauserte sich das Spiel aber zu einem wahren Champion. Gut drei Wochen nach Veröffentlichung waren bereits mehr als 600.000 Kopien verkauft, 91 Prozent der Rezensionen auf der Games-Plattform Steam sind positiv. Jüngst erschien der umfangreiche DLC „Die Piraten von Belerion“, der das Grundspiel um rund 25 Stunden erweitert. Grund genug für uns, „Wartales“ hier endlich zu testen.

Turbulente Zeiten

„Wartales“ spielt in einer mittelalterlichen Welt, die von Bürgerkriegen und Krankheiten heimgesucht wird. Flüchtlinge ziehen durch das Land auf der Suche nach einer Bleibe. In den Wäldern und auf den Straßen lauern Banditen, Räuber und Halsabschneider. In dieser turbulenten Zeit gehen wir einem nahe liegenden aber dennoch sehr fragwürdigem Geschäftsmodell nach: Wir verdingen uns als Söldner und sorgen entweder dafür, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen oder eben an kriminellen Machenschaften zu verdienen.

Bevor es aber richtig los geht, müssen wir unseren Söldnertrupp formieren und als erstes unseren Hintergrund erstellen. Sind wir Banditen, die vor der Wache fliehen, oder Jungbauern, die ein besseres Leben suchen? Zudem müssen wir uns für einen Vorteil und einen Nachteil entscheiden. Sind wir gerissene Kämpfer, dafür aber vom Pech verfolgt? Oder sind wir unglaublich widerstandsfähig, dafür aber niemals zufrieden? Diese Entscheidungen haben später Einfluss auf das Spiel. So beginnen wir mit etwas mehr Geld in der Söldnerkasse, bewegen uns schneller auf der Karte oder bekommen einen Malus auf den kritischen Trefferschaden.

Danach erstellen wir unsere vier Truppmitglieder. Je nach gewähltem Hintergrund stehen uns unterschiedliche Klassen zur Auswahl, seien es Bogenschützen, Speerkämpfer oder mit Keulen bewaffnete Rohlinge. Jede Klasse bringt eigene Vorteile mit sich. Im Spielverlauf sammeln unsere Söldnerinnen und Söldner Erfahrung und steigen um Stufen auf. Hier haben wir dann die Möglichkeit, Attributspunkte zu verteilen und neue Fähigkeiten freizuschalten. Nach der Charaktererstellung werden wir in die Spielwelt entlassen.

Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Und in der steht es uns völlig frei, zu tun und zu lassen, was uns beliebt. Wir können in den nahe gelegenen Ort Stromkapp gehen und dort Handel treiben, Aufträge annehmen, die provinzeigene Quest erfüllen oder in ein anderes der insgesamt sieben Gebiete ziehen und dort unser Glück versuchen.

Immer wieder stoßen wir dabei auf Handelskarawanen, Banditen oder wilde Tiere und müssen uns stets entscheiden, wie wir uns verhalten. Unsere Truppenmitglieder können unterschiedliche Berufe erlernen, etwa Angler, Schmied oder Bergmann. Wir können in Ortschaften Handelsposten eröffnen und durch den Handel reich werden. Oder verlassene Tempelruinen erkunden und die dortigen Schätze heben. Oder Banditen fangen und gegen ein Kopfgeld im Gefängnis verkaufen. Kurzum: „Wartales“ ist eine riesige Sandbox mit enorm vielen Möglichkeiten. Der DLC „Die Piraten von Belerion“ führt zudem ein neues Gebiet, einen Archipel ein, wo wir unser Glück auf hoher See suchen können.

Gut gefallen hat uns, dass diese Möglichkeiten miteinander verzahnt und nicht bloßer Selbstzweck sind. So ergeben die Berufe beispielsweise durchaus Sinn. Denn unsere Mietklingen verlangen nicht nur eine regelmäßige Bezahlung in Form von Goldstücken. Unser Trupp muss auch von Zeit zu Zeit rasten, weil er erschöpft und hungrig ist. Dann können wir den Trupp mit kaltem Wasser und altem Brot versorgen.

Haben wir allerdings einen Koch in unseren Reihen, dann bereitet der eine köstliche Mahlzeit aus verschiedenen Zutaten zu. Das füllt nicht nur die Bäuche, sondern hebt gleichzeitig auch die Moral, was uns wiederum in den vielen Kämpfen zugutekommt. Ein Angler füllt einen Teil unserer Nahrungsvorräte auf. Der Schmied stellt neue Rüstungsteile her oder bessert vorhandenes Material aus, ohne dass wir dafür in den Ortschaften teuer bezahlen müssten.

Ponys sind nicht nur schnuckelig

Oder die Ponys. Die sehen nicht nur schnuckelig aus, sondern fungieren auch als wichtige Lasttiere. Im Laufe unserer Reise sammeln wir so allerhand wichtiges und unwichtiges Zeug ein. Da ist es besser, einen oder gleich mehrere der kleinen Klepper dabei zu haben, um möglichst viel tragen zu können. Denn wenn unsere Traglast einmal die mögliche Kapazität überschreitet, sind wir überladen. In diesem Zustand bewegen wir uns viel langsamer über die Karte und sind somit ein gefundenes Fressen für allerlei Gegner.

Zudem können wir für unsere Gruppe eine Vielzahl an unterschiedlichen Talenten und Fähigkeiten freischalten, die das Leben unserer Söldner und Söldnerinnen um einiges erleichtern. Dazu gehören neue Kochrezepte oder Blaupausen für bessere Waffen. Außerdem können wir unsere Gruppe stets vergrößern. In den über die Karte verteilten Ortschaften, Burgen oder Gasthäusern begegnen wir immer wieder Kämpferinnen und Kämpfern, die wir anheuern können. Wer sich den Sold sparen will, der zähmt wilde Bären oder Wölfe und richtet sie für den Kampf ab.

Bogenschützin und der Meuchelmörder sind sich spinnefeind

Doch dabei müssen wir auch vorsichtig sein. Denn die Truppmitglieder, auch die Tiere, entwickeln Beziehungen zueinander. In unserer Gruppe etwa können sich die Bogenschützin und die Meuchelmörderin nicht ausstehen. Ein paar Fehlschüsse der einen, und das Schnarchen während der regelmäßigen Rast der anderen hat für eine absolute Abneigung gesorgt. Das Tischtuch zwischen den beiden ist zerschnitten. Das bedeutet allerdings für uns, dass wir die beiden während der Kämpfe und im Lager weit auseinander platzieren müssen, wenn wir negative Effekte vermeiden wollen. Wir könnten noch eine ganze Reihe solcherlei Dinge und Details aufzählen. „Wartales“ macht in vielen Punkten schlichtweg einen wohlüberlegten Eindruck.

Den haben wir auch bei den bereits angesprochenen Kämpfen gewonnen. Die laufen rundenbasiert ab. Zu Beginn positionieren wir unseren Trupp und greifen dann an. Dabei sollten wir stets die Fähigkeiten unserer Söldner im Auge behalten. Die Kämpfe werden mit wachsender Teamstärke und Erfahrung auch immer anspruchsvoller. Feuerpfeile setzen Teile des Schlachtfeldes in Brand, Giftwolken schaden den Kämpfern beim Durchqueren, und in dunklen Verliesen brauchen wir Fackeln, damit wir etwas sehen können. Die KI-gesteuerten Gegner schlagen sich recht passabel und greifen ganz gezielt einzelne oder geschwächte Einheiten an.

Minimum an Orientierung und Erklärung

Das Maximum an Freiheit ist leider verknüpft mit einem Minimum an Orientierung oder Erklärung. Es gibt kein richtiges Tutorial, in dem grundlegende Mechanismen des Spiels erklärt werden. Ja, zum Kampf oder den Berufen gibt es kleine Infoboxen und Erläuterungen, wie etwa das Angeln funktioniert. Vieles haben wir aber nur durch stumpfes Ausprobieren gelöst. Hier hätten wir uns eine Art Enzyklopädie oder ein ausführliches Tutorial wie in anderen Spielen gewünscht.

Zudem wird es im späteren Spielverlauf etwas zäher, weil unsere Kämpfer nur noch sehr langsam um eine Stufe aufsteigen. Das drückt auf die Motivation, weil es sich danach anfühlt, als würde der Fortschritt stagnieren.

Die Welt von „Wartales“ ist düster und bisweilen brutal – klassische Low-Fantasy. Wir begegnen nicht edlen Rittern oder Hochelfen, die das klar definierte Böse bekämpfen. Im Gegenteil. Alle Bewohner von „Wartales“ können uns übers Ohr hauen, und hinter dem nächsten Gebüsch können bis an die Zähne bewaffnete Räuber lauern. Dementsprechend ist das Spiel auch wenig zimperlich bei der Darstellung von Gewalt. Erledigen wir einen Gegner während eines Kampfes, spritzt bei eigens dafür eingeblendeten Finisher-Szenen eine ganze Menge Blut. Die expliziten Gewaltdarstellungen dürften nicht allen Spielerinnen und Spielern gefallen, zumal sie keinen Mehrwert für das Spiel an sich haben.

Größte Schwäche: Die fehlende Story

Die größte Schwäche von „Wartales“ ist aber die fehlende Story. Es gibt in den einzelnen Provinzen zwar jede Menge Aufgaben zu erfüllen. Die Quests bauen aber nicht aufeinander auf. Es gibt keinen Gegenspieler, den es zu besiegen gilt, keinen roten Faden oder gar eine Rahmenhandlung mit einem klar definierten Anfang und Ende.

Zudem bleiben die Charaktere allesamt blass. Wir achten zwar darauf, dass die Figuren, die wir am Anfang erstellt haben, überleben. Wir haben allerdings auch schon ein paar Söldner angeheuert, die im Laufe der Partie das Zeitliche gesegnet haben. Die Leichen haben wir am Wegesrand begraben und sind weitergezogen. An die Namen können wir uns nicht mehr erinnern.

Das mag zum düsteren Setting des Spiels passen, verhindert aber gleichzeitig eine enge Bindung an die eigene Söldnertruppe. Dabei steht ausgerechnet die ja im Fokus des Spiels. Außerdem wäre der Grundstein für eine engere Bindung, etwa durch das Beziehungssystem, bereits gelegt.

Fazit

„Wartales“ hat ohne Frage seine Ecken und Kanten. Wer darüber aber hinweg sehen kann, der erlebt ein eher ungewöhnliches Rollenspiel mit einigen interessanten Ideen, mit Detailreichtum, spielerischer und taktischer Tiefe sowie einer Welt mit schier unbegrenzten Möglichkeiten. Für uns war das Game von Shiro Games auf jeden Fall ein Überraschungsh*t in diesem Jahr, der durch „Die Piraten von Belerion“ noch einmal spannender und umfangreicher geworden ist.

„Wartales“ samt Erweiterung „Piraten von Belerion“ ist erhältlich für PC, Nintendo Switch sowie Xbox Series X|S und kostet ca. 55 Euro. Wir haben die PC-Version auf Steam getestet.

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